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Ausdauerjagd: In vielen Kulturen hetzten Läufer ihre Beute zu Tode

Kaum ein Tier ist so auf den Dauerlauf optimiert wie der Mensch. Darum könnten wir fast jede Beute zu Tode hetzen. Aber taten unsere Vorfahren das auch? Im Streit um diese alte Hypothese gibt es nun neue Argumente.
Ein Rentierbulle im Schnee
Auch in nördlichen Regionen fanden die Autoren Hinweise auf Ausdauerjagden. Jäger stellten mit Hilfe von Schneeschuhen den Rentieren nach, bis diese vor Erschöpfung zusammenbrachen.

Evolutionär betrachtet ist der Mensch ein hochgradig spezialisierter und im Tierreich nahezu einzigartiger Ausdauerläufer. Wenn es darum geht, große Distanzen im Laufschritt zurückzulegen, kann er es mit praktisch jedem anderen Tier aufnehmen, sogar mit Pferden. Das verdankt er unter anderem seinem aufrechten Gang, der speziellen Anordnung der Muskulatur, der Zusammensetzung der Muskelfasern und nicht zuletzt der Fähigkeit, durch Schwitzen den eigenen Körper schnell und stark herunterzukühlen.

Ausdauerjagden – also das Hetzen eines Beutetiers, bis es vor Erschöpfung und Überhitzung kollabiert – könnten folglich die bevorzugte Jagdstrategie des Homo sapiens und seiner unmittelbaren Vorfahren gewesen sein. Dafür spricht ebenso, dass der Mensch ohne Werkzeuge wie Fernwaffen oder Fallen eigentlich nicht in der Lage ist, auch nur ein Kaninchen zu erbeuten, geschweige denn einen Hirsch.

Allerdings haben Fachleute eine Reihe von Argumenten vorgebracht, die gegen diese These sprechen. So kannte man Berichte über so genannte Ausdauerjagden nur von einigen wenigen Völkern, etwa den südafrikanischen San. Auch scheint es energetisch ein Verlustgeschäft zu sein, über viele Kilometer hinter einem Beutetier herzurennen. Diesen beiden Einwänden haben sich nun Eugene Morin von der kanadischen Trent University und Bruce Winterhalder von der University of California in Davis gewidmet. Warum sie beide für nicht überzeugend halten, erläutern sie in der aktuellen Ausgabe von »Nature Human Behaviour«.

Zum einen kalkulierten sie die Energiebilanz einer Ausdauerjagd, indem sie den Energieaufwand beim Laufen in Beziehung zum Kalorienertrag durch das Fleisch der Beute setzten. Nur bei den kleinsten Beutetieren fanden sie ein Missverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag. Es zeigte sich bei ihren Rechnungen auch, dass Rennen zumeist günstiger ist als Laufen, weil es die Dauer der Jagd stark verkürzt, aber dank der darauf optimierten Physiologie des Menschen nur geringe energetische Zusatzkosten bedeutet.

400 Fälle von dokumentierten Ausdauerjagden

Zum anderen durchforsteten die beiden Wissenschaftler umfangreiche Digitalisate ethnografischer Berichte der vergangenen fünf Jahrhunderte nach Hinweisen auf Ausdauerjagden. Das sei erst jetzt praktikabel geworden, seitdem viele Bibliotheksbestände online zugänglich seien. Insgesamt 400 solcher Passagen fanden sie (für Interessierte hier nachzulesen). Zwar stellen sie nur eine kleine Minderheit in der Gesamtzahl der Berichte über Jagden dar, dennoch geht aus der Aufstellung eindeutig hervor, dass die Technik der Ausdauerjagd auf allen bewohnten Kontinenten verbreitet war.

Nicht alle Landschaftsformen scheinen gleichermaßen gut für die Ausdauerjagd geeignet zu sein. In dicht bewaldeten Regionen sind sie beispielsweise nicht nachweisbar. Erstaunt waren die beiden Forscher darüber, dass sich Beispiele für solche Jagden auch in kälteren Regionen finden ließen. Bislang hatte man angenommen, dass Hitze ein wichtiger Faktor sei, damit der »schwitzende Affe« Mensch seine Vorteile gegenüber der Beute ausspielen kann.

Doch selbst im Norden Amerikas und Eurasiens war die Ausdauerjagd ein verbreitetes Mittel, geht aus den Dokumentationen hervor. Aus Sibirien berichtete etwa der Forschungsreisende Alexander Theodor von Middendorff im Jahr 1867 von seinem Besuch bei den Ewenken: »Langsam werden die Rennthiere dem Walde zugedrängt, bis, oft erst gegen Abend des Jagdtages, das Hetzen beginnt. Auf ausserordentlich leichten Jagd-Schneeschuhen werden nun die Thiere ausser Athem gejagt, eingeholt, nicht selten mit dem Messer abgestochen, nicht selten aber auf der Entfernung von nur wenigen Schritten mit dem Pfeile verpudelt (verfehlt), weil auch der Jäger so ausser Athem kommt dass es nicht jederzeit gelingen mag, den Bogen wenn auch nur zu spannen. Eben so wird das Elenn gejagt und bei günstigem Schnee kann es oft nach zwei Meilen angestrengten Laufens nicht mehr von der Stelle.«

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