Direkt zum Inhalt

Naturgewalten: Wenn ein Vulkan hustet

Vom Touristenspektakel zum Chaos im europäischen Flugverkehr: Der Ausbruch des isländischen Eyjafjallajökull hat Folgen bis nach Mittel- und Nordeuropa - auch langfristig.
Rauchender Vulkan
Bis Mitte der Woche sah es danach aus, als würde der Eyjafjallajökull im Süden Islands langsam wieder zur Ruhe kommen: Seit er am 21. März wieder zum Leben erwacht war, spuckte er mehr oder weniger kontinuierlich Lavafontänen aus einer Spalte im Krater. Der Vulkan inmitten des gleichnamigen Gletschers wurde rasch zum Ziel von Touristen, bis er vor wenigen Tagen zu lahmen begann. Doch der Eyjafjallajökull hatte offensichtlich nur etwas Kraft getankt: Am Nachmittag des 14. April brach er mit ungeahnter Heftigkeit aus.

Ausbruch Anfang April | Noch gebärdet sich der Eyjafjallajökull recht harmlos: Aus zwei Spalten dringt Magma nach oben – ein Spektakel für Touristen und Vulkanforscher gleichermaßen.
Im Krater hatte sich eine neue Spalte geöffnet, dieses Mal jedoch unter dem Eis des Gletschers. "Trifft heißes Magma auf Wasser, verstärkt das die Eruption: Sie wird deutlich explosiver", erklärt Karsten Haase vom GeoZentrum Nordbayern der Universität Erlangen-Nürnberg, warum der Eyjafjallajökull plötzlich so stark reagiert hat. Dazu komme die besondere Zusammensetzung des Magmas, so der Geologe: "Es ist untypisch für die meisten isländischen Vulkane, da es sehr viel Gas enthält." Dadurch übt das Magma einen starken Druck aus, der sich immer wieder explosionsartig entlädt: Die Lava läuft nicht einfach aus, wie es beispielsweise bei den Vulkanen auf Hawaii der Fall ist. Sie schäumt regelrecht über wie eine Flasche Sekt, die geschüttelt und dann geöffnet wurde.

Der jüngste Ausbruch fiel deshalb wegen dieser Kombination aus starkem Druck und plötzlichem Kontakt mit dem Schmelzwasser zehnmal so stark aus wie die vorhergehenden, schätzt der isländische Vulkanologe Armann Hoskuldsson von der Universität von Island in Reykjavík: "Das ist nun eine rein explosive Eruption – Lava tritt momentan nicht aus." In der Folge hustete der Eyjafjallajökull eine Wolke aus Wasserdampf und Asche bis in Höhen von 8000 bis 11 000 Metern, wo sie rasch vom Westwind nach Osten in Richtung Britische Inseln und Europa verdriftet wurde.

Gefahren für den Flugverkehr

Dort wirbelte sie die Flugpläne gewaltig durcheinander: Reihenweise schlossen die Flughäfen in Großbritannien, Irland, Skandinavien, den Benelux-Staaten und schließlich auch in Deutschland. Tausende Maschinen mussten auf dem Boden bleiben, weil die empfindlichen Turbinen durch den vulkanischen Auswurf verstopfen könnten. "Da das Magma sehr gasreich ist, bildet sich beim Ausbruch eine Art Schaum, der dann zerplatzt und diese sehr feine Asche erzeugt. Sie besteht aus Gesteinsbruchstückchen, Mineralen und vor allem vulkanischem Glas und wird sehr hoch durch die Atmosphäre transportiert. Gelangen die Aschepartikel in Flugzeugturbinen, schmelzen sie wieder auf und setzen dann die Mechanik zu. Im schlimmsten Fall fallen die Turbinen aus", so Haase.



In der Vergangenheit kam es deshalb schon mehrfach zu Beinahe-Abstürzen, denn die Aschewolken sind für Piloten oder ihr Schlechtwetterradar kaum als solche zu erkennen. 1982 wäre fast eine Maschine von British Airways auf dem Weg von London nach Auckland in Neuseeland abgestürzt, weil sie über Indonesien in die Aschewolke des Vulkans Galunggang geraten war: Alle vier Turbinen fielen in der Folge aus, und die Piloten mussten im Gleitflug den Gefahrenbereich verlassen. Erst nach einem Sinkflug über 7000 Höhenmeter gelang es ihnen zur Erleichterung der Passagiere, die lebensrettenden Motoren wieder anzuwerfen und Jakarta anzusteuern. Bei der Notlandung mussten der Kapitän und seine Besatzung ihren Flieger rein mit Instrumenten steuern: Die harten und scharfen glasigen Partikel der Wolke hatten die Maschine sandgestrahlt und die Fenster völlig zerkratzt.

Asche über dem Atlantik | Seit dem 14. April legt der Eyjafjallajökull nun die Luftfahrt über Europa lahm: Ein heftiger Ausbruch schickte Aschewolken bis nach Mitteleuropa – Fliegen ist nun zu riskant.
1989 traf es eine Boing 747 der KLM, die plötzlich orientierungslos dem Erdboden Alaskas entgegentrudelte, nachdem Asche aus dem Vulkan Redoubt ihre Düsen verstopft hatte: Nach der Landung in Anchorage und der anschließenden Reparatur holten die Techniker mehr als 300 Kilogramm Vulkanasche aus den Turbinen, die Reparatur verschlang 60 Millionen Euro.

Was passiert mit dem Wetter?

Langfristiger als die Einschränkungen für den Flugverkehr könnten die Auswirkungen der Eruption auf unser Wetter und Klima sein – wenn der Eyjafjallajökull weiterhin aktiv bleibt und sich seine Ausbrüche noch verstärken. Denn Islands Vulkane setzen sehr viele Schwefelverbindungen frei, die sich in Form von Schwefelsäuretröpfchen in der Atmosphäre rund um den Globus verteilen und wie ein Sonnenschirm wirken können. Vielfach in der Erdgeschichte haben Feuerberge unseren Planeten bereits abgekühlt, so wie in der jüngsten Vergangenheit zum Beispiel der Pinatubo. Als er 1991 ausbrach, setzte er so viele abschattende Aerosole frei, dass die weltweiten Durchschnittstemperaturen in der Folge um ein halbes Grad Celsius sanken.

Aktuell besteht jedoch noch kein Anlass zur Sorge, dass unser Sommer unterkühlt ausfällt, beruhigt Karsten Haase: "Momentan reicht die Menge an freigesetztem Schwefeldioxid noch nicht aus, um das Klima zu beeinflussen." Es wäre allerdings nicht das erste Mal, dass isländische Vulkane auf das Wetter in Europa einwirken: "1783 fand auf der Insel eine sehr starke Eruption statt, während der enorme Mengen Lava freigesetzt wurden. Ganz Europa war davon massiv betroffen."

Asche über Deutschland | Schon einen Tag später hatte die Asche Norddeutschland erreicht (im roten Kreis): Nach und nach mussten alle Flughäfen der Bundesrepublik schließen, hunderttausende Passagiere blieben am Boden.
Damals brach der Vulkan Laki aus und schickte seine Schwefelfracht ostwärts: Rund 120 Millionen Tonnen Schwefeldioxid könnten damals den Himmel getrübt haben, schätzt der britische Geologe Colin Macpherson von der University of Durham – das Dreifache dessen, was Europas Industrie im Jahr 2006 produzierte. Die Folgen waren verheerend: Auf Island starben tausende Menschen an einer Hungersnot, weil Felder verwüstet wurden und das Vieh starb. Großbritannien und weite Teile Kontinentaleuropas lagen unter einer quasi konstanten Nebeldecke und mussten 1783/84 durch einen extrem kalten Winter, der ebenfalls viele Opfer forderte. Womöglich wurde sogar die Französische Revolution durch die vulkanischen Kalamitäten mit ausgelöst: Die dadurch verursachten Wetterextreme vernichteten Ernten und töteten das Vieh, was die verarmte und ausgezehrte Bevölkerung schließlich zum Aufstand trieb.

Kommt es zur Kettenreaktion?

Mit Interesse – und wohl auch ein bisschen Sorge – gucken die Geologen deshalb auf den unmittelbaren Nachbarn von Eyjafjallajökull, den Vulkan Katla. "Eyjafjallajökull macht kaum einen Mucks, ohne dass nicht auch Katla in Aktion tritt", sagt Páll Einarsson von der Universität von Island in Reykjavík. Katla ist Islands zweitgrößter Vulkan und liegt vollständig unter einer Eiskappe: Seine Ausbrüche sind daher besonders explosiv und verursachen im Umfeld massive Überflutungen. Dreimal brach der Eyjafjallajökull seit der Besiedlung Islands aus – 920, 1612 und zwischen 1821 und 1823 –, und stets folgte ihm Katla, der selbst das letzte Mal 1918 zum Leben erwacht war. Er gilt deshalb ohnehin bereits als überfällig, da er in einem Rhythmus von 40 bis 80 Jahren aktiv wird.

Gegenwärtig gäbe es aber für eine derartige Kettenreaktion noch keine Anzeichen, meint Haase: "Da muss man noch abwarten. Die Isländer befürchten aber, dass das magmatische System in der Region so gut gefüllt ist, dass sich auch Katla rührt. Der Ausbruchsort ihres Nachbarn hat sich während des letzten Monats immer wieder verändert. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass auch Katla bald Lava fördern könnte." Die momentane Phase erinnert Bill Burton vom United States Geological Survey jedenfalls an ein früheres Ereignis: "Die Eruptionskette ab 1821 scheint sich zu wiederholen."

Vorerst beschert uns Islands Vulkanismus aber nicht nur Unannehmlichkeiten. Sollte sich die Sonne in den nächsten Tagen durchsetzen, erwarten uns kräftigere Sonnenuntergänge: Ihr Licht wird durch die Staubteilchen stärker abgelenkt, kräftige Purpur- und Rottöne sind möglich. Wie lange uns Flugchaos und Dämmerungsromantik erhalten bleiben, ist ungewiss: Sollten die vorherrschenden Luftströmungen demnächst tatsächlich von Nord- auf Südwest drehen, bläst es die Aschewolke einfach fort nach Skandinavien.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.