Direkt zum Inhalt

Patriarchale Scheinwelt

Ungleichheit zwischen Mann und Frau entspricht nicht der Natur der Menschen. Das legen Carel van Schaik und Kai Michel in ihrem Buch dar.

»Wake up, Neo.« Unmittelbar zu Beginn ihres umfangreichen Buchs bringen van Schaik und Michel dieses Zitat aus dem Filmklassiker »The Matrix« an. Im Film wird Neo aufwachen und erkennen, dass die Welt, in der er lebt, eine Scheinwelt ist. Sein Körper liegt in einem Brutkasten zur Energiegewinnung, während seinen Sinnen eine virtuelle Traumwelt präsentiert wird. Ähnlich ergeht es uns in der heutigen Zeit, so die Autoren. Laut ihnen leben wir in einer patriarchalen Matrix, der Patrix, einer »männlich deformierten Realität, die so tut, als sei sie die tatsächliche Wirklichkeit, dabei ist sie nur ein kulturelles Produkt, eine Simulation«. Wie es zu diesem komplexen, die Institutionen unserer Gesellschaft durchziehenden Gebilde kam, das untersuchen die Autoren auf spannende Weise und behalten dabei neben der kulturwissenschaftlichen Perspektive stets auch die biologische im Blick.

Carel van Schaik ist Verhaltensforscher, Evolutionsbiologe und emeritierter Professor an der Universität Zürich. Kai Michel ist Historiker, Literaturwissenschaftler und Buchautor. Als Autorenduo waren sie bereits mit dem »Tagebuch der Menschheit« erfolgreich, das sich der Bibel aus evolutionärer Perspektive widmet.

Eindrücklich schildern die beiden, wie unsere Vorgänger als Jäger und Sammler über Jahrtausende hinweg weitestgehend friedlich und geschlechtergerecht in kleinen Gruppen zusammenlebten. Wie Frauen untereinander Netzwerke bildeten, Vaterschaften durch verschiedene sexuelle Kontakte verschleierten und so nicht nur ausreichend Unterstützung für ihren Nachwuchs sicherten, sondern auch erfolgreich Steinzeitmachos in Schach hielten. Wie Männer sich mit Jagderfolgen Respekt und Anerkennung innerhalb der Gruppe verschafften, aber auch dadurch, dass sie die Beute großzügig teilten. Sie legen überzeugend dar: Ein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit und sozialen Zusammenhalt ist tief in uns Menschen verankert. Wie dennoch eine Entwicklung ihren Lauf nehmen konnte, die nicht nur für Frauen, sondern ebenso für die meisten Männer in Ausbeutung und Unterdrückung endete, und welche Rolle dabei klimatische Veränderungen, Landwirtschaft, Eigentum und nicht zuletzt Monotheismus und Christentum spielten, legen die Autoren detailreich, schlüssig und gut recherchiert dar.

Wie konnte die Welt so ungerecht werden?

Die Zeitreise durch die letzten Hunderttausende von Jahren Menschheitsgeschichte ist so dicht gepackt mit Informationen, dass man beim Lesen für vereinzelte redundante Abschnitte geradezu dankbar ist. Tatsächlich wäre dieses Buch in seiner Argumentationslinie vielleicht mit dem ein oder anderen kulturwissenschaftlichen Abstecher weniger ausgekommen. Im Ganzen ist van Schaik und Michel jedoch ein gut lesbarer, spannender und überaus unterhaltsamer Krimi der Menschheitsgeschichte gelungen. In dem es eben nicht nur um Frauen oder Männer geht, sondern vielmehr »um die zentrale Frage, wie die Welt so schrecklich ungerecht werden konnte«. Die Botschaft der Autoren ist dabei eine ermutigende: Die Patrix ist eine kurze kulturelle Verirrung der letzten paar tausend Jahre. Sie widerspricht so existenziell der sozialen Natur des Menschen, dass es wenig verwunderlich ist, wenn sie keinen Bestand haben kann.

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – 75 Jahre Grundgesetz: »Ein Durchbruch in nur 13 Tagen«

75 Jahre Grundgesetz: Die Historikerin Uta Piereth im Interview über den Verfassungskonvent von Herrenchiemsee, auf dem die Basis für unser Grundgesetz gelegt wurde.

Spektrum Kompakt – Liebe ist bunt

Dass Liebe in verschiedenen Formen und Ausdrucksweisen ausgelebt werden will, muss noch heute häufig an gesellschaftlichen Interpretationen scheitern. Was sich hierbei gehört, ist insbesondere durch das Geschlecht normiert. Doch zeigt nicht zuletzt das Tierreich, dass solche Rahmen veraltet sind.

Spektrum Geschichte – Roms Ende

Als das Römische Reich zerfiel, brach Chaos über die Menschen herein. Was sie vor 1500 Jahren erlebten, lässt ein spätantikes Buch erahnen. Über die Ursachen des Untergangs sind sich Historiker uneins. Klar ist: Nicht ein Ereignis, sondern ein Geflecht von Geschehnissen brachte das Imperium zu Fall.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.