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Lebensmittelproduktion: Klimaschutz geht durch den Magen

Zum ersten Mal befasste sich eine Weltklimakonferenz mit dem globalen Ernährungssystem. Höchste Zeit, sagen Fachleute. Denn ohne ein Umsteuern bei Produktion und Konsum von Lebensmitteln sind die Pariser Klimaziele nicht zu erreichen.
Fleischverkauf an einem Straßenstand in Hongkong
Der Fleischkonsum in den entwickelten Ländern ist der stärkste Klimatreiber innerhalb der Nahrungsproduktion. Um die Erderhitzung einzudämmen, muss der Fleischkonsum auf zehn Prozent sinken, haben Fachleute berechnet.

Gemessen an seinem Einfluss auf Klima und Biodiversität spielt das Ernährungssystem in derselben Liga wie die fossile Energieerzeugung. Es verursacht fast ein Drittel aller Treibhausgase, nutzt 40 Prozent der Erdoberfläche und 70 Prozent der globalen Frischwasservorräte. Praktisch alle Sektoren der Wirtschaft sind an der Produktion von Lebensmitteln beteiligt: Landwirtschaft, Industrie, Transport, Handel und Konsum. Doch auf früheren Weltklimakonferenzen wurde vor allem um den Ausstieg aus Kohle und Erdöl gerungen, nur am Rande sprach man darüber, wie Nahrungsmittelproduktion und Konsumgewohnheiten auf das Klima wirken.

Das hat sich mit der COP28 geändert. Die Gastgeber aus den Vereinigten Arabischen Emiraten machten die Diskussion über Klimaschutz in Ernährungsindustrie und Landwirtschaft zum wichtigen Thema der zweiwöchigen Veranstaltung in Dubai. COP28-Präsident Sultan Ahmed al-Dschaber sprach zur Eröffnung von einem »Wendepunkt für die Ernährungssysteme« und hatte für vergangenen Sonntag einen ganzen Tag für Diskussionen rund um das Thema freigeräumt – zum ersten Mal in der Geschichte der COPs.

Die Gastgeber erhalten viel Lob für ihre Initiative. Allerdings ist in den Delegationen vieler Länder auch der Argwohn groß, mit dem Fokus auf Ernährungssysteme wolle die Öldynastie vom Hauptproblem des Klimawandels ablenken: der anhaltenden Nutzung fossiler Energien.

Die 28. Weltklimakonferenz (COP28)

Vom 30. November bis zum 12. Dezember 2023 treffen sich die Vertreter von Regierungen, Unternehmen und NGOs in Dubai, um zum 28. Mal über den Klimaschutz zu beraten. Alle Infos zur Konferenz finden Sie in unserem Blog und auf unserer Themenseite.

»Es ist gut und wichtig, dass sich die COP mit dem Thema Ernährung befasst«, sagt Katrin Böhning-Gaese, Direktorin am Frankfurter Senckenberg Biodiversity and Climate Research Centre. »Menschen in der Landwirtschaft und Fischerei leiden besonders unter dem Klimawandel, und die Landwirtschaft trägt substanziell zu Treibhausgasemissionen bei.«

Klimaschutz geht durch den Magen

Auch Marco Springmann sieht den Blick auf den Teller bei einer Klima-COP als bedeutsame Entwicklung für den internationalen Klimaschutz. Natürlich müsse die Konferenz den Einstieg in das Ende fossiler Energien beschließen, sagt der Ökonom, der sich an der University of Oxford seit vielen Jahren mit den Folgen des Ernährungssystems auf Klima, Umwelt und menschliche Gesundheit beschäftigt. Ebenso wichtig und lange überfällig sei aber eine Debatte über Wege zu einer klima- und umweltgerechten Ernährung für demnächst zehn Milliarden Menschen.

»Das Thema Ernährung hat einen planetaren Einfluss wie wenige andere«, sagt Springmann. »Ohne das Ernährungssystem zu diskutieren und Lösungen zu entwickeln, wie wir es nachhaltiger und gesünder gestalten können, kommen wir nicht weiter – weder was den Klimawandel angeht noch was andere zentrale Umwelt- und Gesundheitsprobleme der Menschheit angeht«, erklärt der Forscher.

Auch mit Blick auf das eigentliche Ziel jeder Klimakonferenz – die Pariser Klimaziele umzusetzen – fällt Springmanns Analyse eindeutig aus. »Ohne unsere Ernährungsweise substanziell zu ändern, ist das Ziel von Paris, die globale Erwärmung unter zwei und möglichst unter 1,5 Grad zu begrenzen, nicht zu halten.«

Studien bestätigen diesen Befund. Laut einer im Jahr 2020 in der Fachzeitschrift »Science« veröffentlichten Untersuchung würde, wenn sich die Emissionen aus dem Ernährungssystem gleich bleibend entwickeln, das 1,5-Grad-Ziel sogar dann deutlich verfehlt, wenn der Ausstoß sämtlicher fossiler Brennstoffe sofort gestoppt würde. Selbst die Zwei-Grad-Marke werde bis zum Ende des Jahrhunderts in einem »Business as usual«-Szenario gefährdet, errechneten Springmanns Kollegen in der Studie. »Die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels erfordert rasche und ehrgeizige Veränderungen in den Lebensmittelsystemen sowie in allen Non-Food-Sektoren«, lautet das Fazit der Wissenschaftler.

»Ohne weniger Fleisch kommen wir nicht nach Paris«Marco Springmann

Das liebe Vieh ist das größte Problem

Allen voran ist es der Konsum tierischer Lebensmittel, der den Treibhausgasausstoß des Ernährungssystems in die Höhe treibt. Denn Fleisch und Molkereiprodukte zu produzieren, verursacht nicht nur besonders viele Emissionen – durch die Viehhaltung entstehen auch besonders klimaschädliche Treibhausgase wie Lachgas und vor allem Methan. Das Gas ist nach Berechnungen der Vereinten Nationen seit der vorindustriellen Zeit für etwa ein Drittel der globalen Erwärmung verantwortlich. Es bleibt zwar nicht so lange in der Atmosphäre wie Kohlendioxid, ist währenddessen aber fast 30-mal klimawirksamer.

Mehr als die Hälfte des weltweit ausgestoßenen Methans stammt aus dem Lebensmittelsektor und hierbei zum allergrößten Teil aus der Viehzucht, wo das Gas beim Verdauungsprozess der Wiederkäuer entsteht.

»Der einzige Weg zur Begrenzung des Klimawandels ist eine Umstellung unserer Ernährung hin zu einer ausgewogeneren und stärker pflanzenbasierten Ernährungsweise«, sagt Springmann. »Ohne weniger Fleisch kommen wir nicht nach Paris.«

Bei der Tierhaltung für Milchprodukte immerhin gab es auf der COP28 in Dubai zaghafte Fortschritte. Führende Hersteller von Molkereiprodukten, darunter die Lebensmittelriesen Danone, Kraft Heinz und Nestlé, kündigten an, bis Ende 2024 Aktionspläne vorzulegen, wie sie ihren Methanausstoß zu verringern gedenken. Um wie viel, blieb dabei offen; auf eine Zielmarke haben sich die Unternehmen bislang nicht festgelegt. Die Europäische Union kündigte auf der COP zudem an, weitere 175 Millionen Euro an ärmere Länder zu geben, damit diese eigene Reduktionsprogramme auflegen können.

Die EU gehört auch zu den Gründern des 2021 geschlossenen globalen Pakts gegen Methanausstoß. Diesem haben sich inzwischen mehr als 150 Länder angeschlossen. Ziel ist es, die Methanemissionen bis zu Ende des Jahrzehnts um 30 Prozent gegenüber dem Stand von 2020 zu senken und damit die Paris-Ziele zumindest in Reichweite zu halten. Um die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten, müssten nach Ansicht von Wissenschaftlern die Methanemissionen im gleichen Zeitraum allerdings um 45 Prozent gesenkt werden.

Genau genommen bleibt alles sehr vage

Vor allem in den reichen Industriestaaten sei der Verbrauch von Schweine- und Rindfleisch drastisch zu senken, schließen deswegen Springmann und viele seiner Kollegen. In einer Studie in der Fachzeitschrift »Nature« kommen die Fachleute zu dem Ergebnis, dass die westlichen Industrieländer 90 Prozent weniger Fleisch konsumieren müssten, um die Erderwärmung innerhalb der planetaren Grenzen und in Einklang mit dem Pariser Abkommen zu halten.

Auch eine flexitarische Ernährung mit einer Fleischmahlzeit pro Woche und bescheidenem Käsekonsum kann viel für den Klimaschutz bewirken

Mit einer komplett veganen Ernährung lassen sich der Studie zufolge mehr als 80 Prozent aller ernährungsbedingten Treibhausgasemissionen einsparen. Die gute Nachricht für die Freundinnen und Freunde von Fleisch und Käse: Auch eine flexitarische Ernährung mit einer Fleischmahlzeit pro Woche und bescheidenem Käsekonsum kann viel für den Klimaschutz bewirken. Im Verbund mit anderen Maßnahmen wie einem verbesserten Düngereinsatz und reduzierter Lebensmittelverschwendung könne die Menschheit auch so die Pariser Ziele erreichen. Vorausgesetzt natürlich, sie steigt aus der fossilen Energie aus.

Auch die Welternährungsorganisation FAO kommt nicht mehr daran vorbei, dem Klimaschutz einen höheren Stellenwert einzuräumen. Ein von der UN-Behörde auf der COP vorgestellter »1,5-Grad-Fahrplan«, der die globale Agrar- und Ernährungswirtschaft in Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen bringen soll, blieb jedoch hinter den Erwartungen vieler Beobachter zurück. Statt des erhofften Appells an die entwickelten Länder, ihren Fleischkonsum deutlich zu reduzieren, belässt es der Bericht bei vagen Empfehlungen. Der weltweite Fleischkonsum müsse ebenso wie die Verschwendung von Lebensmitteln und der Einsatz von Düngemitteln »neu gewichtet« werden, ohne Industrie- und Entwicklungsländer gegeneinander auszuspielen, heißt es in dem Bericht.

Einen – wenn auch zaghaften – Fortschritt für mehr Klimaschutz im Lebensmittelsektor markiert die in der ersten Konferenzwoche auf Initiative der Gastgeber verabschiedete Resolution zum nachhaltigen Umbau des Lebensmittelsystems. In der von mehr als 130 Staats- und Regierungschefs unterzeichneten Erklärung erkennen auch Länder wie Brasilien, die USA und China, die in der Nahrungsmittelproduktion führend sind, zum ersten Mal an, dass zum Erreichen der Pariser Klimaziele eine Reform der Landwirtschaft und der Lebensmittelsysteme nötig ist. Die Staaten verpflichten sich außerdem, die Ernährung bis 2025 in ihre jeweiligen Pläne zur Emissionsminderung zu integrieren. Diese so genannten NDCs (nationally determined contributions) dienen als Maßstäbe, an denen man die Fortschritte auf dem Weg zum Klimaziel von Paris misst. Das Bekenntnis zu einem Umbau der Landwirtschaft zu Gunsten nachhaltiger Produktionsmethoden fällt allerdings äußerst vage aus. Konkrete Ziele, die Emissionen zu mindern, gibt es nicht.

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