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Erdrotation: Der Klimawandel beeinflusst jetzt auch die Zeitmessung

Die Erde beginnt, sich schneller zu drehen – und damit werden Schaltsekunden negativ. Das sollte erstmals 2026 der Fall sein. Schmelzende Gletscher in der Antarktis und auf Grönland verzögern das nun.
Wecker im Schnee
Schmelzende Gletscher verzögern die erste negative Schaltsekunde um drei Jahre.

Das schnell schmelzende Eis in der Antarktis und auf Grönland hat ein Problem der Zeitmessung ein paar Jahre weiter in die Zukunft geschoben. Eigentlich wäre 2026 die erste negative Schaltsekunde in der Geschichte der modernen Zeitmessung fällig geworden. Wegen der zunehmenden Eisschmelze in den Polarregionen kommt diese wohl nun erst 2029, berichtet Duncan Carr Agnew von der University of California in San Diego. In einer aktuellen Veröffentlichung in der Fachzeitschrift »Nature« analysiert er, wie sich die Differenz zwischen Uhrzeit und Erdrotation im Lauf der Zeit verändert. Demnach beginnt sich die Erdrotation derzeit nach einer längeren Phase des Rückgangs zu beschleunigen – aber langsamer, als der langjährige Trend erwarten lässt. Das liegt womöglich daran, dass die Erde vom steigenden Meeresspiegel stärker abgebremst wird als vermutet.

Dass es überhaupt immer wieder zusätzlich eingefügte Schaltsekunden geben muss, liegt daran, dass die Erdrotation nicht konstant ist. Die moderne Zeitmessung ist so genau, dass schon sehr kleine Differenzen zwischen Uhrzeit – gemessen mit einer Cäsium-Atomuhr – und Erdrotation erkennbar sind. Nach und nach bremst die Gezeitenreibung die Erdrotation ab, so dass der Tag länger wird und immer mal wieder eine Schaltsekunde eingefügt werden muss. Doch das ist nur die halbe Geschichte. Die Erde kann nämlich auch schneller rotieren.

Der wichtigste Grund dafür ist, dass sich der flüssige Erdkern derzeit immer langsamer dreht; und da der Drehimpuls der Erde erhalten bleibt, rotieren Mantel und Erdkruste mit der Zeit schneller. Zuerst mussten dadurch nur weniger Schaltsekunden eingefügt werden, um die Gezeitenreibung auszugleichen. Bis zur Jahrtausendwende passierte das im Mittel fast jährlich, in den zurückliegenden 23 Jahren jedoch nur noch viermal. Und nun steht die erste negative Schaltsekunde bevor: Der Tag wird kürzer. Tatsächlich ist das ein erhebliches Problem. Denn schon normale Schaltsekunden synchron in die Weltzeit UTC einzufügen, ist nicht trivial. So handhaben zum Beispiel verschiedene Internetdienste Schaltsekunden unterschiedlich. Deswegen wird die Schaltsekunde 2035 auch erst einmal abgeschafft – allerdings wohl zu spät, um eine negative Schaltsekunde zu vermeiden.

Die meisten Computersysteme haben inzwischen immerhin die Möglichkeit, Schaltsekunden nach Bedarf einzufügen. Aber kaum ein System ist darauf ausgelegt, eine Sekunde zu entfernen. »Deshalb erwartet man, dass eine negative Schaltsekunde viele Schwierigkeiten verursachen wird«, schreibt Agnew. Wegen der schmelzenden Gletscher nahe der Arktis ist dieser Tag X nun ein bisschen weiter entfernt. Denn wenn Eis an den Polen schmilzt, verteilt sich das Wasser über die ganzen Ozeane – und seine Masse entfernt sich dadurch von der Erdachse. Dadurch erhält das Wasser einen zusätzlichen Drehimpuls, der dem der gesamten Erde abgezogen wird. Das wirkt der zusätzlichen Rotation aus dem Erdkern entgegen. Und je schneller das Eis schmilzt, desto weiter schiebt es die negative Schaltsekunde nach hinten.

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