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10 Jahre Bologna: Sinn und Unsinn

Die ÄAppO – die Ärztliche Approbationsordnung aus dem Jahr 2002 – hat zur Genugtuung und Freude vieler engagierter Kolleginnen und Kollegen ganz erstaunliche Reformen in Gang gesetzt: Der Unterricht wird nun vermehrt fächerübergreifend und praxisnah gestaltet, und hin und wieder wird so genanntes problemorientiertes Lernen eingesetzt. Das Verlangen nach neuen Methoden im Vermittlungsprozess wurde sehr ernst genommen.

Auch strukturrelevante Forderungen wie die Einführung von Querschnittsbereichen, integrierten Seminaren und gegenstandsbezogenen Studiengruppen wurden umgesetzt. In den Fakultäten wird konstruktiv mit didaktischen Modellen experimentiert; vielerorts haben sich Ausbildungsgänge in Hochschuldidaktik etabliert.

Sehr viel hat sich bewegt in den sechs Jahren seit Einführung der neuen ÄAppO. Die Kritik an der medizinischen Ausbildung in Deutschland ist – abgesehen von der am "Hammerexamen" – weit gehend verstummt. Dass nun aus der Politik der Ruf nach Einführung eines Bachelor-/Master-Studiums auch in der Medizin erschallt, trifft gerade die reformaktiven Fakultäten wie ein kalter Guss.

Reinhard Putz | Reinhard Putz ist Vizepräsident der Ludwig-Maximilians-Universität München und Träger des "Ars legendi"-Lehrpreises.
Es scheint, als hätten die Verantwortlichen in der Politik nicht begriffen, was alles Substantielles geschehen ist. Von heute auf morgen drohen die bereits eingeleiteten und nun endlich greifenden Reformen mutwillig blockiert zu werden – um eines nicht definierten "höheren Zieles" Willen.

Bologna umfasst Vieles: angefangen von Modularisierung und ECTS, dem punktbasierten System zur Leistungserfassung, bis hin zur Steigerung von Mobilität. All das wäre diskutierbar, bestünde da nicht das Prokrustesbett der grotesken deutschen Festlegung auf einen Gesamtrahmen von fünf Jahren und der Zwang zu einem konsekutiven Studiensystem.

Wenn dazu noch die Notwendigkeit einer Umstellung mit einer zu hohen Abbrecherquote begründet wird, verliert man den Glauben an jegliche Redlichkeit der Diskussionspartner. Eine Studie des Hochschul-Informationssystems HIS hat längst gezeigt, dass in der Medizin die Abbrecherquote lediglich bei 7 Prozent liegt. Die Gründe dafür, dass allerdings nur etwa 60 – 70 Prozent der Absolventen in einen medizinrelevanten Beruf in Deutschland einsteigen, sollte man vielmehr in den Arbeitsbedingungen an den Krankenhäusern und den Gehältern suchen – und nicht in der Ausbildung. Man sollte also erst einmal die an den meisten Universitäten begonnenen, überaus konstruktiven Reformen der medizinischen Ausbildung nachhaltig werden lassen, bevor neue Reformen begonnen werden.

Natürlich ist eine Art "Ausstiegsbachelor" nach drei Jahren denkbar. Der "frühe" Studienabbrecher hätte damit wenigstens einen Abschluss in der Tasche – einen Abschluss, von dem allerdings niemand genau sagen kann, wofür er überhaupt dienlich wäre. Das macht die Schweiz gerade vor. Für eine Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt des Gesundheitssystems müssten die drei Eingangsjahre der Medizin völlig neu strukturiert werden. Dazu sollte jedoch zuerst ein Berufsbild definiert werden, bevor man Absolventen derart losschickt.

Mit dem Blick über den Atlantik kann man sich zudem durchaus fragen, ob das in Deutschland übliche durchschnittliche Einstiegsalter in die Medizinausbildung von etwa 18 Jahren nicht vielleicht zu niedrig ist. Das Angebot eines inhaltlich allgemein ausgerichteten, dreijährigen Bachelors in "Biomedizin" wäre vielleicht eine Grundlage oder sogar die Voraussetzung für viele Gesundheitsberufe innerhalb und außerhalb der Medizin.

Bologna

10 Jahre Bologna

Auf den Seiten der SciLogs findet ab dem 15.06.2009 eine Woche lang ein Bloggewitter zum Thema Bologna-Reform statt. Neben den Bloggern der SciLogs ziehen renommierte Gastautoren Bilanz und kommentieren.

Mehr Informationen finden Sie unter:
www.scilogs.de/bologna
Unter dieser Voraussetzung – aber nur dann! – kann man ein neues Medizinstudium konzipieren, in das man von einem geeigneten Bachelor in Biomedizin oder einem ähnlichen Fach aus einsteigen kann. Es müsste etwa vier Jahre dauern, darf aber in keiner Weise mit einem Masterstudiengang verwechselt werden. Hier geht es um berufsbezogene Ausbildung nach dem internationalen Vorbild der "professional schools", die möglichst von Wissenschaftlern und wissenschaftlich orientierten Ärztinnen und Ärzten geleitet wird. Ein Master oder besser gleich eine Promotion könnte anschließend je nach wissenschaftlichem Interesse erworben werden.

Eine derartige Umstrukturierung der medizinischen Ausbildung in Deutschland würde damit – nicht zuletzt im Sinne der Förderung von Mobilität – einem im Ausland sehr bewährten Modell folgen. In ein Medizinstudium an einer solchen "professional school" könnte man von verschiedenen Bachelorstudiengängen oder auch – mit Ergänzungen – aus anderen Gesundheitsberufen einsteigen.

Die Medizin wehrt sich also in keiner Weise gegen die Einführung neuer Strukturen in der Ausbildung. Sie wehrt sich gegen sinnlose, unreflektierte formale Reformzwänge, die alles zerstören, was mit großem positivem Einsatz erreicht wurde.

Zusammen mit der Politik sollten wir folglich die ÄAppO 2002 positiv weiterentwickeln und parallel dazu ohne Druck über ein zukunftsweisendes, international konkurrenzfähiges Ausbildungsmodell in der Medizin nachdenken.

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