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Vulkanismus: Das Atmen des Feuerbergs

Explosiver Vulkanismus ist oft verbunden mit katastrophalen Folgen: Pompeji, Krakatau, Mount St. Helens - sie alle haben ihren Gipfel abgesprengt und Tod und Verderben in ihre Nachbarschaft getragen. Dass es auch anders geht, zeigt der Santiaguito in Guatemala.
Santiaguito im Abendlicht
Wenn man während der Trockenzeit vom Gipfel des Boquerón im südwestlichsten Zipfel Mexikos gen Osten blickt, eröffnet sich dem zähen Wanderer ein erhebendes Panorama: Wie an einer Perlenkette aufgereiht, ragen die Gipfel des Tacaná, des Tajumulco und anderer Vulkane nach und nach aus dem Dunst der Küstenebene – Ausdruck der extremen Kräfte, die hier in den Tiefen der Erde walten. Nur wenige Kilometer von den Bergeshöhen entfernt, taucht im Ozean die Kokosplatte unter die Karibische beziehungsweise Amerikanische Platte: Gesteine schmelzen, Druck baut sich auf, Spannungen entstehen, die sich immer wieder in verheerenden Erdbeben und heftigen vulkanischen Eruptionen entladen.

Ausbrechender Santiaguito | Seit 86 Jahren bricht der Santiaguito regelmäßig ein- bis zweimal die Stunde aus.
Auch der Santiaguito ist Teil dieser Feuerbergkette, die den festländischen Antipoden zum Tiefseegraben der subduzierten ozeanischen Kruste bildet. Seit 86 Jahren pufft und pafft der Vulkan in Guatemala mehr oder weniger heftig, aber regelmäßig ohne größere Ruhepause vor sich hin – zumindest für menschliche Zeitmaßstäbe eine lange Zeit. Diese Penetranz macht ihn zu einem der verlässlichsten Vulkane dieses Eruptionstypus weltweit und sorgt dafür, dass sich kein allzu großer Druck in seinem Kessel aufstaut, der sich dann wie am Krakatau 1883, am Mount St. Helens 1982 oder am Pinatubo 1991 mit verheerender Wucht entladen müsste.

Dennoch bebt auch der Santiaguito beständig bis zu 40-mal am Tag, wenngleich immer nur relativ schwach. Um mehr über dieses Wesen des Vulkans herauszufinden, wagten Jeffrey Johnson vom New Mexico Tech in Socorro und seine Kollegen aus sicherer Distanz eine Erkundung des Caliente-Doms. Diese Gesteinsaufwölbung inmitten des Kraters bildet gegenwärtig den aktivsten Teil des Bergs und nimmt bereits eine Fläche von 30 000 Quadratmetern ein.

Ausgerüstet mit hochauflösenden Video- und Wärmebildkameras sowie Dopplerradar beobachteten die Forscher Sensationelles, was zuvor noch kein Vulkanologe gesehen hatte: Ein- bis zweimal die Stunde pulsiert der Berg und wuchtet mit der Kraft von bis zu drei Milliarden Newton den Dom mitsamt seinem grob geschätzten Gewicht von ein bis zehn Millionen Tonnen innerhalb von Sekundenbruchteilen nach oben und seitwärts, bevor er wieder nach unten sackt: Über den Tag hinweg sorgen diese Regungen trotz ihrer kurzen Dauer für den größten Teil der Massebewegungen des Doms, die zum Kraterrand gerichtet sind – zumeist in Form metergroßer Felsbrocken, die durch die rasche höhenwärtige Beschleunigung aus ihrer Verankerung gerissen werden und die Flanken der Gesteinsaufwölbung hinabpurzeln. Bisweilen stemmt der Santiaguito sogar Gesteinsplatten mit 100 Meter Durchmesser unzerstört nach oben.

Begleitet werden diese Aufwallungen stets von langperiodischen Erdbeben, die nur im unmittelbaren Umfeld des Vulkans für Menschen spürbar sind, aber von Seismografen verlässlich aufgezeichnet werden. In den meisten Fällen kennt man ihren genauen Ursprungsort und Auslöser nicht, da das Gestein und Schlotsystem des Bergs die Erdbebenwellen vielfach bricht und streut, so dass sie sich kaum lokalisieren lassen – zumindest bislang. Die Messdaten am Santiaguito deuten nun allerdings daraufhin, dass sie eng mit den Hebungen des Doms zusammenhängen.

Pyroklastischer Strom | Ein pryoklastischer Strom aus heißer Asche und Gasen schießt die Hänge des Vulkans hinab.
Angetrieben werden die Pulse des Feuerbergs durch Gase, die sich in den durchschnittlich halbstündigen Pausen unter der normalerweise undurchlässigen Glocke des Doms angestaut haben. Erreichen sie den kritischen Druck von maximal 20 Bar – in Autoreifen herrscht normalerweise ein Druck von 2 Bar –, drücken sie die Gesteinsdecke rasch nach oben: Innerhalb von wenigen Sekunden bläht sich der Caliente-Dom um dutzende Zentimeter auf. Doch dieser Aufstieg leitet auch zugleich seinen Niedergang ein: An den Rändern der emporgehobenen Gesteinsblöcke schießen die Gase und auch Aschen konzentriert in den Himmel. Das heiße Material im Innenraum fällt zusammen wie ein Soufflé, das man zu früh aus dem Ofen geholt hat, und die Aufwölbung sackt wieder nach unten – ein Mechanismus, der womöglich auf viele ähnlich geartete Vulkane wie den Santiaguito zutrifft.

Wer übrigens selbst einmal dem atmenden Berg bei der Arbeit zusehen will, kann dies wie die Geologen relativ leicht bewerkstelligen: In zweieinhalb Kilometer Abstand wacht der Vorläufer des Vulkans, der ruhende Santa Maria, über seinen Nachwuchs. Sein Gipfel ist 1200 Meter höher und gewährt einen optimalen Blick auf den Dom des Caliente.

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  • Quellen
Johnson, J. et al.: Long-period earthquakes and co-eruptive dome inflation seen with particle image velocimetry. In: Nature 456, S. 377–381, 2008.

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