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Keine Würze in der Kürze

Fast vierzehn Milliarden Jahre ist das Universum alt – zumindest lehrt dies die heutige Kosmologie. So lange dauerte es von der Entstehung der ersten Atome bis zur Bildung menschlicher Gehirne, die diesen Prozess rückblickend bestaunen. Ob die Natur damit den kürzesten Weg genommen hat oder nicht, sei dahingestellt, der Astrophysiker Harald Lesch und der Historiker Harald Zaun erheben jedenfalls den Anspruch, mit ihrem Buch "Die kürzeste Geschichte allen Lebens" vorgelegt zu haben.

In 224 Seiten führen sie ihre Leser von "Das Nichts. Kein Leben" bis hin zu den angeblich hundert Litern Kaffee, die den Entstehungsprozess des Buches begleitet haben. Dass der Buchtitel von Stephen Hawkings Bestseller "Eine kurze Geschichte der Zeit" beziehungsweise dem Nachfolgeband "Die kürzeste Geschichte der Zeit" entlehnt wurde, ist offensichtlich. Und auch wenn dies vielleicht nur eine Idee der Marketingabteilung des Verlages war, sollen die Autoren sich daran messen lassen: Wie kann man die gesamte Naturgeschichte so knapp abfassen?

Da ist zunächst einmal der Umstand, dass die Autoren offen bekennen, "ihre" Geschichte zu erzählen – will heißen, die kanonische Geschichte, wie sie die Naturwissenschaftler mehrheitlich akzeptieren. Das Buch lässt folglich nur selten Raum für abweichende Hypothesen. Dementsprechend gilt es für das Autorenduo beispielsweise als gesichert, dass es ein Asteroid war, der den Dinosauriern vor 65 Millionen Jahre ein jähes Ende bescherte. Statt die spannende, lehrreiche und die Forschung antreibende Kontroverse über das Aussterben dieser Urzeitriesen zu erzählen, halten sie ohne Begründung an dem Asteroiden fest. Wie die Wissenschaft überhaupt darauf kommt, den Chicxulub-Krater in Mexiko als Ort des todbringenden Einschlags zu identifizieren, erfährt der Leser dagegen nicht. Andere Theorien gelten ihnen als "haarsträubend" und finden deshalb keinen Raum. Lediglich der offensichtlich hirnrissig-kreationistische Theorie, es gäbe keine Dinos mehr, weil sie nicht in Noahs Arche gepasst hätten, werden ein paar Zeilen gewidmet.

Eine weitere Methode ihre Geschichte allen Lebens zur "kürzesten" zu machen, besteht darin, nur von "gesichertem Wissen" zu berichten: "Wissensinseln" nennen die Autoren dies in ihrer Einleitung, die von "Meerengen" getrennt werden. So hüpfen die Autoren von Eiland zu Eiland und halten sich nur möglichst kurz über Untiefen auf: Wie es zum Urknall kam, wissen wir nicht, denn "zu sehr übersteigt das größte Mysterium des Seins unser Vorstellungsvermögen". Das Kapitel über "Dunkle Energie" solle man gar nicht lesen, "denn viel wissen wir nicht über die Dunkle Energie". Und wenn es um die Entstehung des Lebens geht, "wissen wir so gut wie nichts, über die chemischen Vorgänge, die zur Bildung von Zellen führten".

Angekommen auf den Wissensinseln ist die Vermittlung dann doch meist ziemlich lapidar. So hatten unsere direkten Vorfahren zwar ein kleineres Gehirn als die Neandertaler, doch sei dieses besser vernetzt gewesen, heißt es da. Als Leser würde man nun aber schon gerne wissen, woher die Autoren – beziehungsweise die Wissenschaft – das weiß. Das Gehirn von Homo habilis, eines anderen Vorfahren, soll wiederum ausgereicht haben, um sich auf "urzeitlichem Niveau artikulieren" zu können. Was aber versteht man unter urzeitlichem Niveau bei einem Urzeitmenschen?

Zu einem merkwürdigen Widerspruch führt auch die Wissensinsel "Exoplaneten": Mehr als 270 Planeten außerhalb unseres eigenen Planetensystems seien bekannt, aber "ein halbwegs erdähnlicher extrasolarer Planet ist nicht darunter". Warum es sich aber gleichwohl zeigen soll, "dass erdähnliche Planeten im Weltraum en masse vorhanden sind und auf einigen von ihnen biologische Lebensformen existieren", verwundert dann doch. Und all dies sind nur ein paar Beispiele für Textstellen, in denen die Autoren neblige Berge ihrer Wissensinseln besteigen, ihre Leser jedoch am Boden zurücklassen.

Selbst da, wo auf der Wissensinsel eigentlich klare Sicht herrschen sollte, erzeugen die Autoren eigene Wortwolken und verlieren damit ihr Ziel. Sie bezeichnen die Gravitation als "Seele des Weltalls", das Licht als "einen Verbündeten der Ewigkeit", Gas und Staub drehen sich "mit müheloser Leichtigkeit", die Sonne offenbart "ihr sonniges Gemüt" und die Spitzmaus als vermeintlichem Vorfahren aller Säuger ist natürlich "spitzbübig".

Das bereits erwähnte Buch "Eine kurze Geschichte der Zeit" von Stephen Hawking gibt es auch in einer grandios illustrierten Ausgabe. Im Buch von Harald Lesch und Harald Zaun, findet sich hingegen keine einzige Abbildung. Dabei sieht das Buch äußerlich durchaus hübsch aus: Es ist gebunden, besitzt ein Lesebändchen und offenbart beim Durchblättern ein nettes Daumenkino, das die Entwicklung der Vögel aus den Dinosauriern zeigt. Ein Literatur- und Internetverzeichnis fehlt genauso wenig wie ein ausführliches Register.

Was bleibt als Fazit? "Die kürzeste Geschichte allen Lebens" ist zu kurz geraten, weil sie zu wenig darstellt, was die Naturwissenschaft so spannend macht: die Diskussion kontroverser Hypothesen, die aufregenden Entdeckungen und schlichtweg die Bilder. Wenigstens im astronomischen Teil des Buches finden sich aber auch sehr schöne Passagen, die dem Gesamteindruck etwas widersprechen – hier schimmert dann doch der Forscher in einem der Autoren durch.

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