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Unappetitliche Geschäfte

550 000 Menschen beschäftigt der Markt für Lebensmittel hierzulande und erwirtschaftet pro Jahr mehr als 130 Milliarden Euro. Leider sind aber viele der umgesetzten Waren durchaus nicht so gesund und unbedenklich, wie es die Werbung der Hersteller glauben macht. Marita Vollborn und Vlad Georgescu wollen mit ihrem neuen Buch "Die Joghurt-Lüge" dem Verbraucher einige Zusammenhänge und auch unappetitliche Machenschaften dieser lukrativen, vernetzten Branche vor Augen führen. Nach der Lektüre soll der Leser in Zukunft bewusster entscheiden, was er in Zukunft essen möchte.

Zunächst versuchen Marita Vollborn und Vlad Georgescu die Strategien der wenigen, den Markt beherrschenden "Giganten" bewusst zu machen, mit denen diese die Kunden an ihre Produkte binden. Dank ausgefeilten Marketings schaffen Hersteller und Handel Trends wie Wellness, Convenience und Genuss – und profitieren davon. Weil die Verbraucher ihre Ernährung nicht nur nach Qualität auswählen, sondern auch gern zu Lebensmitteln mit angeblichen Zusatznutzen greifen, gehen die Autoren auf diesen aktuellen Trend besonders ein.

Functional Food verspricht Gesundheit auf dem Teller, soll aber trotzdem schmecken. Es gibt die Produkte in allen möglichen Bereichen, seien es pro- und prebiotische Joghurts, mit Vitaminen und Mineralstoffen aufgepeppte Müslis oder mit sekundären Pflanzenstoffen angereicherte Fette. Die Autoren warnen jedoch vor unbedachtem Konsum. Denn eine Überdosierung mit bestimmten Vitaminen zum Beispiel, die früher als unbedenklich und lebenswichtig angesehen wurden, habe sich mittlerweile als riskant erwiesen. Sie empfehlen Vitamine aus natürlichen Quellen vorzuziehen, etwa den Vitamin-C-Bedarf mit einer rohen Paprika, einer Apfelsine und einem Orangensaft zu decken.

Die Bereitstellung der heutigen Nahrungsmittelvielfalt ist ein zweischneidiges Schwert, meinen Vollborn und Georgescu. Einerseits stellen die Menschen hohe Ansprüche an den Geschmack, andererseits fordern sie lange Haltbarkeit und günstige Preise. In diesem Zusammenhang erläutern sie Sinn und Zweck von Zusatzstoffen wie Antioxidanzien oder Farbstoffen. Exemplarisch widmen sie sich den Süßstoffen, wobei einige interessante Details zu Tage treten: So weiß sicher nicht jeder, dass diese den Appetit eher anregen als bremsen. Deshalb wird beispielsweise das preiswerte Saccharin auch in der Schweinemast eingesetzt. Obwohl die häufigen Meldungen über mögliche Gesundheitsgefahren weitgehend widerlegt worden sind, bleibt ebenso wie bei Cyclamat, Aspartam und Co ein Rest an Unsicherheit. Fazit der Autoren: "Süßstoffe machen wahrscheinlich nicht krank und dick, aber sicher auch nicht gesund und schlank."

Was bewirken Konservierungsstoffe?, fragen sie als nächstes. Wo sollten sie eingesetzt werden und auf welche könnte man vielleicht doch verzichten?. Der Leser erfährt auch hier wieder Wissenswertes für den Alltag -unter anderem von antibiotisch wirkendem Natamycin auf Käserinde. Zwar sei der gelegentliche unbeabsichtigte Verzehr nicht gefährlich, doch wie wirkt es sich auf Dauer aus? Zugleich möchten die Verfasser ihre Leser für ein hygienisches Verhalten in der Küche sensibilisieren, anstatt sich darauf zu verlassen, dass die Lebensmittel "selber dafür sorgen, nicht zu verderben".

Ein aktuelles Thema betrifft die neuartigen Nanopartikel: winzigste Teilchen, die Lebensmittel vor äußeren Einflüssen schützen sollen. Ein US-amerikanischer Hersteller hat zum Beispiel Titandioxid-Nanopartikel auf die Oberfläche von Schokolade aufgebracht, um unansehnlichen Fettreif zu verhindern. Ebenfalls auf dem amerikanischen Markt gibt es Frittieröl mit Keramikpartikeln, die das Fett vom Essen abperlen lässt. Die Forscher sind höchst aktiv, denn die Eigenschaften der Winzteilchen als Geschmacks- oder Nährstoffträger oder Verderbnisindikator möchte sich die Lebensmittelindustrie nicht entgehen lassen. Doch stehe die Sicherheitsforschung noch hinten an, urteilen die kritischen Verfasser.

In den Kapiteln über Rohstoffe von Lebensmitteln befassen sich Vollborn und Georgescu ausführlich mit der nach wie vor präsenten Rinderseuche BSE und belastenden Pestizide. Ebenso wagen sie sich an das Thema Gentechnik ("genveränderte Organismen"), bei dem sie anhand von Beispielen einige der vielen ungelösten Fragen vor Augen führen, etwa eine potentielle Allergiegefahr oder Antibiotikaresistenz durch transgene Nahrungspflanzen. Ob sich GVO-Essen noch vermeiden lässt, können auch die beiden Autoren nicht beantworten. Sie weisen aber ausdrücklich darauf hin, dass Bio-Lebensmittel grundsätzlich gentechnikfrei frei sein müssen. Ausführungen zu Acrylamid und zu Bisphenol-A schließen diese Thematik ab.

Bestimmte Siegel für Nahrungsmittel sollen dem Verbraucher die Kaufentscheidung erleichtern. Beim Deutschen Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung RAL, das die Vergabe und Überwachung von Gütezeichen zur Aufgabe hat, kommt dem Genusswert die größte Bedeutung zu, erst später folgen die Punkte "Herstellung" oder "ernährungsphysiologische Bedeutung". Vollborn und Georgescu verdeutlichen hier den Unterschied zwischen Gütezeichen (etwa von der CMA oder DLG), Herkunftszeichen (z.B. Altenburger Ziegenkäse) oder Prüfzeichen (wie Bio-Siegel, QS-Siegel).

Trotz entsprechender Vorschriften falle die Unterscheidung zwischen geschützten und nicht geschützten Zeichen häufig schwer, meinen sie. Das QS-Siegel, welches für Qualität und Sicherheit stehen soll, basiert auf einer freiwilligen Selbstkontrolle der beteiligten Firmen und entspricht im Großen und Ganzen nur den gesetzlichen Vorschriften. Am Beispiel der Käfighaltung von Hühnern machen die Autoren deshalb Schwächen des Systems deutlich. Einen Vertrauensbonus tragen dagegen zum Beispiel fair gehandelte Waren, das staatliche Bio-Siegel und die Richtlinien der Bio-Anbauverbände.

Wer die Mechanismen in dem Milliardengeschäft Lebensmittel kenne, heißt es, könne eine Entscheidung treffen, die zu einer wirklichen Wende in der Landwirtschaft, dem Umweltbereich und der Politik führen würden. Beim Essen wollen die Menschen nicht an der Nase herumgeführt werden, das Misstrauen gegen Panschereien sitzt tief – zumindest behaupten das die beiden Autoren. Doch treten nicht immer wieder neue Skandale ans Tageslicht und geraten aufgetauchte Missstände schnell wieder in Vergessenheit? Wachsamkeit ist angesagt, wobei ein Buch wie "Die Joghurt-Lüge", verfasst von einer erfahrenen Lebensmitteltechnologin und einem Chemiker, sicher einen guten Beitrag leistet und daher das Lesen Wert ist.

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