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Von Christentum bis Sozialismus

Als Thomas Morus um 1516 das Buch "Utopia" über eine fiktive Inselgesellschaft veröffentlichte, gab er einem alten Genre einen Namen: Darstellungen von buchstäblich fantastischen, idealen Welten, deren Vorstellung die Bereitschaft zu tugendhaftem Verhalten und gesellschaftlichen Veränderungen bewirken sollten. Der Titel des später zum katholischen Heiligen erhobenen Theologen und Kanzlers Morus, der für seine religiösen Überzeugungen die Todesstrafe erlitt, war dabei selbst eine spielerische Kombination aus den Begriffen eutopia (guter Ort) und outopia (kein Ort): Utopien sind nicht und sie sind gefährlich, weil sie über die etablierten Strukturen hinaus weisen.

Der Londoner Historiker Gregory Claeys lässt jedoch die Geschichte der Utopie schon mit antiken Schilderungen von Goldenen Zeitaltern und arkadischen Landschaften sowie frühen, monotheistischen Paradiesvorstellungen beginnen. Von diesen Wurzeln her arbeitet er sich durch die europäische Geistesgeschichte bis in die Neuzeit. Ein Kapitel ist außereuropäischen, vor allem arabisch-islamischen und chinesischen, Utopien gewidmet.

Claeys beschränkt sich auf die Darstellungen von Zukunfts- und Wunschbildern. Er entwickelt keine Theorie zu ihren Entstehungen und reflektiert ihre Funktion für die Menschen in ihrer jeweiligen Zeit nicht. Und doch fesselt er Leserinnen und Leser von der ersten Seite an durch ein opulentes Angebot an klug ausgewählten Bildern. Von Gemälden über Kupferstiche und Personenporträts bis hin zu Buchumschlägen und Filmplakaten reicht der Augenschmaus, der die Farbigkeit der Utopien sichtbar macht und den gehobenen Preis des Buches rechtfertigt.

Der flüssig geschriebene Text erläutert das Gezeigte dabei, ohne je allzu tief in die Einzeldarstellung einzudringen. "Ideale Welten" wird so zu einem kleinen Museum aus Papier und wer das Buch aufgeschlagen auslegt, wird nach kurzer Zeit fasziniert Blätternde daran finden.

Immer wieder bedenkt Claeys vor allem das Christentum mit sanftem Spott, kann sich aber zugleich der Qualität, Quantität und Dauerhaftigkeit religiöser Utopien nicht entziehen. Sozialistischen Utopien bringt er dagegen Wertschätzung entgegen, ohne ihr regelmäßiges Scheitern zu verschweigen. Widersprüche fürchtet der Autor nicht, sie erscheinen ihm vielmehr als notwendige Spannungen einer lebendigen Gesellschaft. Utopien können katastrophal scheitern und auch in den glücklicheren Fällen nie ihr ganzes Versprechen einlösen. Und doch wird dem Leser durch "Ideale Welten" deutlich, dass jene Gesellschaften innerlich verarmen, die nicht einmal mehr von besseren Zuständen träumen können.

Claeys stellt so nicht nur Ideengeschichte kunst- und prachtvoll dar, sondern leistet auch ein anregendes Plädoyer für kreative und künstlerische Zukunftsbilder.

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