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Elektromagnetismus: Magnetische Monopole nachgewiesen

Jahrzehnte lang suchten Physiker in den Signaturen kosmischer Strahlung oder in Teilchenbeschleunigern nach magnetischen Monopolen. Jetzt wurden sie fündig - in einem kristallinen Festkörper, dessen Gitterstruktur dem von Wassereis entspricht.
Wenn es einen Versuch aus dem Physikunterricht gibt, der immer funktioniert hat und jedem im Gedächtnis blieb, dann dieser: Eine dünne Platte liegt waagerecht auf einem Stabmagneten. Lässt der Lehrer Eisenspäne darauf rieseln, entsteht spätestens nach leichtem Klopfen ein charakteristisches Muster – die Späne richten sich nach den unsichtbaren magnetischen Feldlinien aus und zeichnen ihren Verlauf nach. Magnete haben immer einen Nord- und Südpol, wird der Lehrer dann erklären, von einem zum anderen laufen die Linien und dadurch ergibt sich die charakteristische Form des so genannten Dipol-Felds. Einsame "Monopole", die entweder nur als Ausgangs- oder Endpunkt von Feldlinien dienen, gibt es nicht.

Pyrochlor-Gitter | In einer solchen Tetraeder-Kristallstruktur sind die Dysprosiumionen in Dy2Ti2O7 angeordnet. Im Idealfall weisen immer zwei Spins in einen Tetraeder hinein, zwei hinaus.
1931 vertrat ein britischer Physiker jedoch erstmals eine andere Ansicht, der spätere Nobelpreisträger Paul Dirac. Seine Motivation war mathematisch-ästhetisch: Gäbe es magnetische Monopole, würden die dem Elektromagnetismus zu Grunde liegenden Maxwellschen Gleichungen eine symmetrische Form bezüglich der elektrischen beziehungsweise magnetischen Felder, Quellen und Ströme annehmen.

Viele theoretische Arbeiten auf der Suche nach einer "Weltformel" beschrieben bald auch recht genau, wie ein Monopol auszusehen hat: Das magnetisch monopol wirkende Teilchen bringt bei winzigen Ausmaßen – es ist kleiner als ein Proton – so viel Gewicht wie ein Bakterium auf die Waage.
"Spin-Spaghetti" | In Dysprosiumtitanat ordnen sich die Spins der Dysprosium-Ionen zu langen Ketten, die bei Abwesenheit eines äußeren Magnetfelds in sich verschlungen sind. Jede Kette endet in magnetischen Monopolen.
Aber in der Praxis verliefen selbst Experimente bei den höchsten erreichbaren Teilchenenergien – mit kosmischer Strahlung und in großen Beschleunigeranlagen – ohne Erfolg.

Szenenwechsel. In einigen Labors arbeiten Physiker mit einem exotischen Material, so genanntem Spin-Eis. Der Name rührt von der Geometrie des Kristallgitters her und der Ähnlichkeit in der Ausrichtung des inneren Drehimpulses der Ionen – Spin genannt – mit der Lage der Wasserstoffatome relativ zum Sauerstoff in gefrorenem Wasser. Bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt haben die Forscher in solchen "Pyrochlor-Gittern" einen unerwarteten Vorgang beobachtet, einen Phasenübergang. Was löst ihn aus?

Da der Spin die magnetischen Eigenschaften eines Stoffes oder Körpers bestimmt, äußerten Claudio Castelnovo von der Oxford University und Kollegen den Verdacht, der Phasenübergang könne den Wechsel zwischen der flüssigen und gasförmigen Phase einer Ansammlung magnetischer Monopole darstellen [1]. Einer Forschergruppe um Jonathan Morris vom Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie ist jetzt mit einem speziellen Versuchsaufbau der Nachweis solcher Monopole gelungen [2].

Dazu bestrahlten die Wissenschaftler eine Probe aus Dysprosiumtitanat (Dy2Ti2O7) mit Neutronen. Die in dem Material enthaltenen Dysprosium-Ionen ordnen sich in einem tetraederförmigen Gitter an und weisen die Eigenschaften eines Spin-Eises auf. Aus der Ablenkung der hindurch geschickten Neutronen, die aus dem Berliner Forschungsreaktor stammten, konnten die Forscher bestimmen, dass sich die Spins der Dysprosium-Ionen zu langen, Spaghetti-förmigen Röhren ausrichten.
Wir beschreiben neue, fundamentale Eigenschaften von Materie
(Jonathan Morris)
Diese "Spin-Spaghetti" durchlaufen im Schnitt etwa 50 Tetraeder und transportieren dabei magnetischen Fluss, wie die Neutronen verraten. "Das Streuexperiment zeigt, dass die Röhren, die sich ganz nach Diracs Überlegungen verhalten, in diesem Material tatsächlich existieren. Dies ist ein Schlüsselfaktor für das Vorhandensein von magnetischen Monopolen", erklärt Morris.

Aber es gibt noch einen weiteren Beleg. Morris führt dazu aus: "Die Fähigkeit, Wärme aufzunehmen, folgt genau einer Theorie, die die Wechselwirkung der Monopole an den Enden dieser 'Dirac Strings' als ein Gas aus magnetischen Ladungen – also Monopolen – beschreibt." Zudem legten die Forscher während des Streuexperiments ein äußeres Magnetfeld an. Auch die Reaktion darauf stimmte völlig mit ihren Erwartungen überein: Die Spaghettis begannen sich zu ordnen, genau, wie es Dirac-Strings tun sollten. Wird die Richtung des Magnetfelds geändert, richten sich auch die Strings neu aus.

Neutronenstreuung an Dirac-Strings | Die "Spin-Spaghettis" leiten magnetischen Fluss und lenken deshalb hindurch fliegende Neutronen ab. Dabei entsteht ein charakteristisches Muster.
Die Forscher sind damit erstmals in bisher unbekannte Bereiche des Elektromagnetismus vorgedrungen. Auch wenn es sich noch nicht um isolierte magnetische Monopolteilchen handelt, sondern um ihnen entsprechende Quasipartikel, die nur innerhalb des Gitters existieren, können sie dennoch die ihnen gemeinsamen Eigenschaften studieren. Was die praktische Anwendung angeht, erklärt Morris: "Wir beschreiben neue, fundamentale Eigenschaften von Materie. Sie sind allgemeingültig für Materialien mit derselben Topologie, also Stoffe mit magnetischen Momenten im Pyrochlor-Gitter. Für die Entwicklung neuer Technologien könnte dies von großer Bedeutung sein." Beispielsweise könnten die neuen Erkenntnisse dazu dienen, neue dreidimensionale Speichermedien hoher Kapazität zu entwickeln.

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  • Quellen
[1] Castelnovo, C. et al.: Magnetic monopoles in spin ice. In: Nature 451, 42–45, 2008.
[2] Morris, D.J.P. et al: Dirac Strings and Magnetic Monopoles in Spin Ice Dy2Ti2O7. In: Science, 10.1126/science.1178868, 2009.

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